Nach dem Ende

Knacks ! – so kündigt sich ein Bruch an. - Auch Lebensbrüche. Plötzlich ist da eine Ahnung,  - unser intuitives Wissen um ein Ende,  - eine Veränderung, vielleicht auch ein Neubeginn… Zunächst sollte das Thema dieser Nacht auch tatsächlich „Lebensbrüche“ heißen. Und wir waren eher gespannt darauf, wie so ein Bruch im Vorfeld aufzuspüren und vielleicht sogar zu verhindern wäre, quasi als prophylaktischer Ansatz.


Immerhin haben sich seit unserer Geburt unzählige Brüche, kleine und große Abschiede mit Schmerzen in unser Gedächtnis eingegraben. Eine ganze Kette. – Vom Verlust des ersten Zahns bis zum Tod des Goldhamsters oder dem Ende der ersten Liebe. Und weil wir soziale Wesen sind, wirken auch Lebensbrüche anderer auf uns. - Die Entlassung aus der Arbeit unseres Nachbarn - ein Familienvater, - das Ende einer großen Liebe, die amputierte Brust der Freundin oder der Tod eines Menschen.- Knacks! -Bloß nicht erinnert werden. Das wollen wir nicht erleben.


So täuschen wir unser Frühwarnsystem mit einem ziemlichen Aufwand an Lebensenergie, lügen Erinnerung und Angst fort, verdrängen unser Wissen und beruhigen uns - Psychologische Erinnerungs- und Überlebensstrategien.Ist das Schicksal nicht mehr aufzuhalten, wird nach einer Chance gesucht, einer Rettung, um das Ende zu verhindern.  Wir nehmen Medikamente zu Hilfe und nutzen Hight-Tech-Instrumenten unserer technologisch übermächtigen Realität - um gegen das Ende anzukämpfen … gegen Krankheit, das Ende der Sexualität, gegen das Alter und schließlich auch gegen den Tod. –


„Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei“. Das Karnevalslied mutiert hierbei zur bitterernsten Lebensmaxime eines bemerkenswerten - und sicher auch diskussionswürdigen Zeitgeistes und so schunkeln wir im Kollektiv und verbreiten die Kunst, sich zu versichern.Sie haben noch keine Zahnfissuren-Versiegelungs-Versicherung? Keine Scheidungs-Vorsorge-Versicherung für die Kinder? Aber sicher eine Lebensversicherung! Lebensbrüche, Schicksalswenden, Zäsuren - Knacks! - jeder kennt sie, hat sie durchlebt, doch wie gehen wir damit um?


In diesem Zusammenhang stießen wir im Vorbereitungsteam immer wieder auf das Ende, dem wir alle ausgeliefert sind, gepaart mit der Ungewissheit, was wohl danach sein wird. So stellte sich uns die Frage „nach dem Ende“. Und wie wirkt das Danach ins Davor?


In seinem Buch „Der Tod als Thema der Kulturtheorie“ schreibt Prof Assmann: „Der Mensch ist durch sein Zuviel an Wissen aus der Ordnung der Natur herausgefallen. - Er muss sich eine künstliche Welt erschaffen, in der er leben kann. Das ist die Kultur. Die Kultur entspringt dem Wissen um Tod und Sterblichkeit. Sie stellt den Versuch dar, einen Raum und eine Zeit zu schaffen, in der der Mensch über seinen begrenzten Lebenshorizont hinausdenken und die Linien seines Handelns, Erfahrens und Planens hinausziehen kann in weitere Horizonte und Dimensionen der Erfüllung, in denen erst sein Sinnbedürfnis Befriedigung findet und das schmerzliche, ja unerträgliche Bewusstsein seiner existenziellen Begrenzung und Fragmentierung zur Ruhe kommt.“


Wo und wann ist Raum und Zeit zur Sinnerfüllung? Im Dasein des Hier und Jetzt oder im Jenseits? - Dazu gibt es sehr unterschiedliche Denkmodelle. So fragten etwa Sozialwissenschaftler der Ludwig Maximilians-Universität München, wie in der heutigen westlichen Gesellschaft Sterblichkeit interpretiert wird und behaupten: „Der Tod wird heutzutage entweder verdrängt oder in seiner Bedeutung relativiert.“ In ihren Studien teilen sie die Menschen ein in die Unsterblichen, die Todesexperten und die Todesforscher.


Die Unsterblichen können mit der Frage nach dem Tod nicht viel anfangen. Aber nicht aus Angst. Sie sind zu sehr mit dem „Alltag“ des Sterbens beschäftigt, konzentrieren sich auf Essen, Trinken, Waschen … und der Tod wird nur noch als Teil dieser Abläufe thematisiert. Die Todesexperten haben eine klare Vorstellung vom Ende, seien sie christlich, esoterisch oder materialistisch. Sie haben nicht den geringsten Zweifel an ihrer Deutung und präsentieren mitunter haarsträubende Theorien, bis dahin, dass sie nach dem Tod von Ufos auf entfernte Planeten zum Weiterleben gebracht werden. Todesforscher stehen quasi in der Tradition von Sokrates und Descartes. Für sie ist alles möglich und nichts ist gewiss.


Tja, meine Damen und Herren, im Hier und Jetzt gibt es nach einem Ende - oftmals eine Chance für Neues, - und danach vielleicht wieder ein Ende oder noch viele - mit neuen Erkenntnissen, neuer Liebe, neuem Hass. - Und nach jedem dieser Enden üben wir uns in Erinnerung. Das letzte Ende können wir als Feind annehmen, - als Heimkehr oder - als Geheimnis. Aber der Tod selbst kann nicht kommuniziert werden.


„Der Tod ist ein Semikolon“ schreibt der Literaturwissenschaftler Edmont Jabé. Und diese Vorstellung gefällt mir. Weil wir uns überhaupt nur mit Sprache und unserer Gedächtniskunst dem Ende annähern und auf das Danach einlassen können. Vergangenheit entsteht überhaupt erst, weil man sich aus dem Danach auf sie bezieht. Sich einen Namen machen, einen Turm bauen oder eine Schrift anfertigen... Wie erinnert wird und warum hängt letztlich vom Sammeln der Augenblicke ab und von Spuren, die hinterlassen sind in Stein, Landschaft, Büchern oder in einem Herzen.  Manches Ich hämmert sein Leben lang an seinem Denkmal herum. Doch welche Bedeutung dieser Hinterlassenschaft zukommt, entscheidet nicht das Ich allein, sondern vor allem sein Umfeld, das soziale Wir, auch die Familie oder ein Dorf, eine ganzen Nation vielleicht oder Jahrtausende später die Archäologie.


Eins ist sicher: Im Hier und Jetzt ist Gelegenheit unsere eigene Spur zu hinterlassen. Fördern wir uns also selbst. Erweitern wir unser Wissen, unser Bewusstsein zum ethischen Handeln.Angesichts des Super-Gaus in Fukushijma auf der anderen Seite der Erde möchte ich in diesem Sinn Hans Küng zitieren: „Was wir nicht selbst als Ethik vorbereiten, wird durch Katastrophen notwendig gemacht.“ Ja, meine Damen und Herren, und noch eins - ist ganz sicher: „Nach dem Ende“ ist Stoff. Stoff für Romane, Gedichte und Rätsel für Philosophen und andere Wissenschaftler.